Am diesjährigen Baufachtag der Hochschule Biberach stand das Spannungsfeld zwischen der politischen Forderung nach Wohnungsneubau und einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung im Sinne der Klimaschutzziele im Fokus. Während die Bundesregierung zu Beginn der Legislaturperiode das ehrgeizige Ziel ausgerufen hat, bis zu 400.000 neue Wohnungen im Jahr zu bauen, haben die Corona-Pandemie sowie der Ukraine-Krieg zu eklatanten Problemen für die Wohnungswirtschaft geführt: Rohstoffmangel und in der Folge eine Preisexplosion bei Baustoffen, flankierend dazu der anhaltende Fachkräftemangel in der Baubranche, sorgen dafür, dass neue Bauprojekte stillstehen. Wie kann es also gelingen, unter diesen Umständen mehr Wohnraum zu schaffen? Auch das Thema Nachhaltigkeit nimmt einen immer größeren Stellenwert in der öffentlichen Diskussion ein – sowohl im Neubau als auch der (energetischen) Sanierung von Bestandsimmobilien. Welche Kriterien gilt es hier zu beachten? Und ist das noch mit der Bezahlbarkeit von Wohnraum vereinbar?
Diesen höchst relevanten Fragestellungen nahmen sich unsere Expert*innen aus dem Bau- und Immobilienrecht, der Bauprojektplanung, Wirtschaftsförderung sowie dem gemeinwohlorientierten Wohnungsbau an. Nach einer kurzen Begrüßung durch Ivo Gönner, ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Ulm und Beiratsvorsitzender des berufsbegleitenden Masters „Wirtschaftsrecht (Bau & Immobilien)“ der Hochschule Biberach starteten die Vorträge, die den Überthemen ESG als Goldstandard? (Panel 1) und Sanierung, Umbau, Umnutzung (Panel 2) zugeordnet waren.
Kommunen sollten bereits jetzt Vorkehrungen treffen, um zukünftige Anforderungen des Gesetzgebers in Hinblick auf ESG schnell und effektiv umsetzen zu können.
Den Anfang machte Dr. Julia Lange, Rechtsanwältin bei Kapellmann & Partner in Mönchengladbach und Lehrbeauftragte im berufsbegleitenden Master. Unter dem Titel „ESG – Must Have oder Nice to Have? Worauf Kommunen jetzt (schon) achten müssen“ führte sie die Zuhörer*innen in die Begrifflichkeit der „Environmental Social Governance“ ein und zeigte auf, welche rechtlichen Standards jetzt bereits verbindlich sind – und welche es in Zukunft werden können.
Von der Meta-Perspektive des rechtlichen Überbaus abweichend demonstrierten Philipp Everding und Felix Fischer, Nachhaltigkeitsexperten bei der Arcadis GmbH, wie ESG-Assessments in der Praxis umgesetzt werden. Anhand eines gemischten Immobilienportfolios aus Wohn-, Büro-, Handels- und Industriegebäuden zeigten sie, inwiefern spezifische Maßnahmen zur Energieeinsparung beitragen können, etwa der Einbau von Wärmepumpen oder die Nutzung von Photovoltaik.
Panel 1 wurde von Robert Bechtloff vom Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. (vbw) vervollständigt, der die Frage „Nachhaltiges und bezahlbares Bauen und Sanieren – Ein Paradoxon?“ aufwarf. Er erklärte, warum detaillierte und strenge Klimaschutzkriterien den Unternehmen der Wohnungswirtschaft, die den Großteil der Miet- und Sozialwohnungen halten, teils Kopfzerbrechen bereiteten. Etwa stünden diese oftmals im Gegensatz zu den Auflagen des Denkmalschutzes und trieben die Mietpreise langfristig in die Höhe. Bechtloff wies auch auf den „Faktor Mensch“ hin: Energiesparendes Verhalten der Mieter*innen sei neben notwendigen Sanierungsmaßnahmen unabdingbar.
Die anschließende Podiumsdiskussion moderierte Marcus Kollmann, Professor für Baubetriebswirtschaft und Projektentwicklung der Hochschule Biberach.
Panel 2 wurde von Dr. Wolfgang Patzelt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner bei RITTERSHAUS in München, eröffnet. Er zeigte auf, welche rechtlichen Instrumente es für die Mobilisierung von Bauland gibt und wie durch Bebauungspläne eine qualitativ hochwertige Nachverdichtung in Stadtgebieten gestaltet und gesteuert werden kann.
Tanja Oelmaier, Leiterin der Abteilung Liegenschaften und Wirtschaftsförderung der Stadt Ulm, stellte als Praxisperspektive die Säulen der Ulmer Bodenpolitik als Garant für nachhaltiges und soziales Bauen vor. So veranschlagt die Stadt Ulm jährlich einen festen Betrag für den Kauf städtischer Grundstücke und besitzt dadurch einen reichen Grundstock an stadteigenen Flächen. Dazu kommen die strategische Planung von Bauerwartungsland sowie eine strenge Vergabepolitik, die es der Stadt ermöglicht, die Entwicklung von Stadtteilen, etwa nach gemeinwohlorientierten Gesichtspunkten, proaktiv zu gestalten.
Den Abschluss bildete der Vortrag von Jörg Schenkluhn, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft für Wohnungsbau Oberland eG (GWO) in Laupheim, der die Bauprojekte „Hauderboschen“ und „Talfeldstraße“ in Biberach als Beispiele für flächeneffizientes Bauen vorstellte. Gemäß der Strategie zur Entspannung des Wohnungsmarktes in der Region investiert die GWO Laupheim am Hauderboschen in 23 Wohnungen, die alle zu sozial verträglichen Mieten angeboten werden. Zur Schaffung der öffentlich geförderten Neubau-Mietwohnungen an der Talfeldstraße wurde ein sanierungsbedürftiger Garagenhof aus den späten 50er Jahren abgebrochen.
Städte dürfen bei der Steuerung ihrer Liegenschaften ruhig selbstbewusst auftreten. So können sie Stadtentwicklung proaktiv gestalten.
Norbert Geiger, Studiengangsleiter des berufsbegleitenden Masters und Professor für Professor für Bau- und Immobilienrecht, Steuerrecht und Finanzierung der Hochschule Biberach, beendete den Tag mit der Moderation der abschließenden Podiumsdiskussion und einem Fazit zum Programm.
Obwohl die Baufachtage 2020 und 2021 online mit Erfolg stattgefunden haben, zeigten die intensiven Diskussionen der Referent*innen noch lange nach Ende des Baufachtags einmal mehr, dass persönlicher Austausch unersetzbar für solch ein Format ist.